(4d) “…weil wir keine bedeutsamen Beziehungen zu ihnen haben…”

Einwand (4d): Beziehungen

„Tiere zählen moralisch weniger als Menschen, weil wir keine bedeutsamen Beziehungen mit ihnen haben.“

Manche entgegnen auf den Speziesismus-Vorwurf, dass es nicht einfach die Gattungszugehörigkeit sei, die einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Menschen und Tieren begründe, sondern vielmehr die besonderen sozialen, psychologischen oder emotionalen Beziehungen, die nur zwischen Menschen existierten. Und es wird oft behauptet, dass wir aufgrund dieser Beziehungen stärkere Verpflichtungen gegenüber Menschen hätten als gegenüber Tieren.

Widerlegungen:

(4d.1) Beziehungen und Nähe fallen nicht zwingend mit Gattungszugehörigkeit zusammen

Menschen können enge und bedeutungsvolle Beziehungen zu Tierindividuen haben – und einige haben diese tatsächlich auch. Viele Menschen haben engere Beziehungen zu ihren tierlichen Gefährten als zu fremden Menschen. Andere ziehen Tiere Menschen vielleicht sogar grundsätzlich vor. Somit fallen Beziehungen und Nähe nicht zwingend mit der Gattungszugehörigkeit zusammen.

Und auch die Vorstellung, dass alle – und nur – Menschen eine große „Familie“ bilden, erscheint als bloße Rhetorik angesichts der Tatsache, wie diese „Familienmitglieder“ bisweilen miteinander umgehen. Offensichtlich wird diese Vorstellung der „menschlichen Familie“ vor allem dazu bemüht, Tiere auszuschließen.

(4d.2) Beziehungen für spezielle Verpflichtungen relevant

Beziehungen und Nähe sind moralisch relevant – aus ihnen ergibt sich aber kein genereller moralischer Unterschied. Vielmehr spielen sie eine wichtige Rolle bei der Bestimmung spezieller Verpflichtungen seitens moralischer Akteure.

Es gibt einen Unterschied zwischen allgemeinen Verpflichtungen (die alle moralischen Akteure gegenüber allen moralischen Objekten haben) und speziellen Verpflichtungen (die nur bestimmte moralische Akteure gegenüber bestimmten moralischen Objekten haben – meistens aufgrund bestimmter Beziehungen oder Formen der Interaktion). So haben Eltern die spezielle Verpflichtung, ihre Kinder großzuziehen und für sie zu sorgen, genauso wie Tierbesitzer die spezielle Verpflichtung haben, für ihre Tiere zu sorgen.

Daraus ergibt sich jedoch kein generell überlegener Status derjenigen Wesen, gegenüber denen diese Verpflichtungen bestehen. Alles, was sich daraus ergibt, ist, dass bestimmte moralische Akteure (die in solchen Beziehungen stehen) spezifische Verpflichtungen haben, die andere nicht haben; und dass sie diese Verpflichtungen nur gegenüber spezifischen Moralobjekten haben, aber nicht gegenüber anderen.

Daher ist die ganze Rede von stärkeren Verpflichtungen, die Menschen angeblich gegenüber anderen Menschen haben sollen, fehlgeleitet. Es handelt sich um spezielle Verpflichtungen, die sich aber nicht auf die generellen Verpflichtungen auswirken und daher auch nicht alle Verpflichtungen stärker machen.

(4d.3) Beziehungen nur in bestimmten Situationen relevant

Das Vorhandensein von Beziehungen oder Nähe kann auch aus einem anderen Grund moralisch relevant sein. Selbst wenn Beziehungen und Nähe bestimmten Wesen einen höheren moralischen Status verleihen würden, ließe sich daraus nichts für die generelle Behandlung von Tieren ableiten.

Erstens, weil Beziehungen und Nähe nicht mit der Gattungszugehörigkeit zusammenfallen (siehe 4d.1). Zweitens, weil ein solcher Unterschied nur in echten Konfliktsituationen bzw. Dilemmata relevant wäre (siehe 2.3). Wenn man sich z.B. entscheiden muss, entweder das eigene Kind oder einen fremden Hund zu retten, dann würden die speziellen Beziehungen zwischen dem moralischen Akteur und seinem Kind dafür sprechen, das eigene Kind zu retten statt des Hunds. Dasselbe würde dann aber auch gelten, wenn man zwischen dem eigenen und einem fremden Kind wählen müsste.

Doch selbst wenn spezielle Beziehungen nur zwischen Menschen bestehen könnten, warum sollten solche Beziehungen dazu berechtigen, Tieren Leiden zuzufügen und das Leben zu nehmen – selbst außerhalb echter Konfliktsituationen? (Und natürlich hat das, was wir Tieren tagtäglich antun, nichts mit solchen Konfliktsituationen zu tun.)

Beziehungen mögen als Zusatzkriterium für ein Notfallprinzip sinnvoll sein, um zu einer nicht-beliebigen Entscheidung in echten Konfliktsituationen zu gelangen; aber sicher sind sie keine Blankovollmacht zur Instrumentalisierung anderer, die einem nicht nahestehen.